Salam alaykum - Friede sei mit Dir, liebe Leserin, lieber Leser. Schön, dass Du hergefunden hast.

Sonntag, 28. Oktober 2012

Der Sinn von Regeln

Das Göttliche ist für den Menschen nicht fassbar, das habe ich oft erfahren dürfen. Wir Menschen können mit unserem begrenzten Potenzial an Wahrnehmung und Verständnis nicht einmal erahnen, wie groß, wie umfassend das Göttliche ist. Darum sind immer wieder Menschen von Gott beauftragt worden, Bilder zu beschreiben, dies es Menschen ermöglichen, mindestens eine kleine Ahnung davon zu bekommen wie umfassend "das Göttliche" ist und wie es in unserem Leben wirkt. Diese Bilder waren zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedlich und so sind eben die Bilder, die der Buddhismus nutzt, ganz andere als die, die wir im Islam kennen.


Nun ist es aber nicht nur so, dass wir Gott, Allah wie wir Muslime ihn nennen, nicht begreifen können. Wir können uns ihm auch nicht nähern, denn Allah ist nicht an etwas gebunden, was wir Menschen einen Ort oder eine Richtung nennen würden, denn diese Begriffe sind nur unserer begrenzten Wahrnehmung geschuldet. Wie also nähert man sich etwas, das man nicht begreifen kann und das auch keinen Ort hat, jedenfalls keinen im menschlichen Sinne?

Hier kommt die Religion ins Spiel: mit konkreten Verfahren und Methoden, zum Beispiel Gebeten, Verhaltensregeln oder Übungen wird dem schwachen, wankelmütigen und kurzsichtigen Menschen (also zum Beispiel mir) die Möglichkeit gegeben, gewissermaßen nebenbei Kontakt zum Göttlichen aufzunehmen, eine Idee des Unaussprechlichen zu erhaschen.

Allah, der Erhabene, ist weit davon entfernt, irgend etwas zu benötigen, was wir Menschen ihm geben könnten. Zu glauben, wir würden Allah zuliebe etwas tun muss also folglich in die Irre führen. Nein, es ist anders herum: wenn ich bete, kann ich mich an das Göttliche andocken, auf eine Weise, die ich nicht verstehe, nicht verstehen kann. Ich habe also Kontakt, subtile Berührung zu meinem Schöpfer. Der Wert des Gebets liegt also nicht darin, mich niederzuknien und möglichst perfekt arabische Formeln auszusprechen. Wertvoll wird es, wenn es gelingt, Kontakt zu haben. Dass das nicht immer und überall gelingen kann, liegt dabei auf der Hand, dass man es nicht "machen" kann erst recht.

Ich habe also erfahren: wenn ich bete, bin ich bisweilen Gott nahe. Wenn ich mir genug Zeit nehme, mich verhülle, vorher Dhikr mache, im Koran lese, erhöht das die Chance, dasss mein Leben in Kontakt mit dem Göttlichen kommt und bleibt. Also tue ich es.

Es heilt meine Seele, gutes zu tun, anderen zu helfen, zu spenden. Also tue ich es und hoffe, dass meine Wagschale dereinst schwer genug sein wird. Wiewohl es natürlich keine Wagschale geben wird und auch keinen Tag der Abrechnung - beides sind typisch menschliche Bilder. Dennoch glaube ich daran, auf einer tiefen Ebene, und auch das entzieht sich meinem Verstand.

Ist es also eine sinnvolle Sache, sagen wir, die Moschee immer mit dem rechten Fuß zuerst zu betreten? Das hängt davon ab: davon, ob es mich meinem Ziel näher bringt: nahe bei Allah zu sein. Und da hat sich meine Wahrnehmung mit den Jahren gewandelt. Viele Regeln, die ich anfangs zumindest seltsam fand, sind inzwischen in mein alltägliches Handeln übergegangen. Sie schulen meine Achtsamkeit, sie ermahnen mich, mir stets des Erhabenen bewusst zu sein. Sie zeigen mir, dass es außer Allah nichts gibt, was in meinem Leben wirklich wichtig ist.

Daraus erwächst dann mein persönlicher Wertekanon: ich trinke klaren Apfelsaft, der mit Gelatine gefiltert sein könnte, weil es für mich keinen Unterschied macht. Ich nehme Hustensaft, der Alkohol enthält, weil ich überzeugt bin, dass das Alkoholverbot so nicht gemeint war und dass Allah kein Erbsenzähler ist. Aber ich verstehe keinen Spaß bei übler Nachrede, häuslicher Gewalt und Diskriminierung - alles Dinge, die die Spiritualität eines Menschen langfristig zerstören.

Manche Menschen nennen mich liberal, ich nicht. Ich nenne mich konservativ. Ich möchte den Kern des Glaubens bewahren, nicht die Peripherie. Ich möchte ein guter Mensch werden, wenigstens ein bisschen, nicht jemand dem Äußerlichkeiten wichtiger sind als Herzensbildung.

As salamu alaykum, Frieden sei mit Euch!

1 Kommentar:

  1. Wa alaykum as-salam

    Schön geschrieben, liebe Anisah. Vieles sehe ich ähnlich. Dein Wertekanon gefällt mir. Konservativ - liberal... egal. :)

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