Salam alaykum - Friede sei mit Dir, liebe Leserin, lieber Leser. Schön, dass Du hergefunden hast.

Freitag, 1. Juni 2012

Liberal oder beliebig?

Wer möchte das heute noch sein, liberal, wo es eine politische Partei gibt, die diesen Begriff bis zur Unkenntlichkeit verbogen hat? Und wer weiß eigentlich wirklich, was es damit auf sich hat, liberal zu denken und zu fühlen?
Liberal stammt dem lateinischen Wortstamm nach von der Freiheit ab, es bedeutet also freiheitlich, ein Wort das wir im deutschen hatten aber heutzutage kaum noch nutzen, allenfalls in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (kennt die noch jemand?). Es bedeutet also, zuallererst, sich der Freiheit verpflichtet zu fühlen.
Prima, höre ich viele sagen, frei wollen wir doch alle sein: frei von Verpflichtungen, frei von Beschränkungen und als einengend empfundenen Lebensumständen. Aber ich glaube, genau darum geht es nicht.
Freiheitlich zu denken bedeutet für mich, die Freiheit als solche zu lieben und zu schätzen - und Freiheit, das ist seit Rosa Luxemburg eine Platitüde, ist immer zuerst die Freiheit des Anders denkenden, die Freiheit eines Menschen, der anders lebt und denkt und andere Werte hat als ich.
Hier fängt es für mich durchaus an, weh zu tun. Dass Menschen Alkohol trinken kann ich einigermaßen akzeptieren, dass sie GZSZ, DSDS, GNTM und ähnliches freiwillig anschauen schon weniger, dass sie an keinen Gott glauben mögen noch viel weniger. Von Waffenhandel, Kinderpornographie und ähnlich unappetitlichem will ich jetzt einmal nicht anfangen.Aber letztlich üben sie nur ihre Freiheit aus - und das dürfen sie.
Als Muslimin weiß und glaube ich, dass wir zum Schluss jeder vor Allah, dem Erhabenen stehen - jeder für sich. Und wie vermessen wäre es, zu glauben, meine Chancen wären auch nur einen Hauch besser als die von Erna Müller aus dem Nachbarort? Ich bin also, gerade als Muslimin, verpflichtet, die Freiheit der Andersdenkenden zu achten und zu schützen, selbst wenn sie in ihr Verderben rennen.

Und genau da ist für mich der Knackpunkt: Freiheit ist für mich etwas ganz anderes als Beliebigkeit. Jeder, der sich selbst Muslim nennt, ist auch einer. Aber vieles was Muslime tun, empfinde ich als falsch. Und dabei betrachte ich übermäßiges Beharren auf Strukturen genauso wie übermäßiges Verleugnen dieser Strukturen. Ich sehe übermäßige Konzentration auf die islamische Mystik als genauso falsch an wie diese zu leugnen. Ebenso wie ich Halal-Fanatiker irritierend finde, verstören mich Menschen die meinen, das mit dem Alkohol im Koran irgendwie wegerklären zu können.

Kurz: Liberal, freiheitlich, eingestellt zu sein heißt für mich nicht, keinen Standpunkt zu haben. Im Gegenteil: ich glaube, wer keinen Standpunkt hat, kann gar nicht wirklich liberal sein. Ich bin im Herzen zutiefst konservativ. Ich habe erfahren, dass die Jahrhunderte alten Rituale im Islam einen Sinn haben, der sich mit dem Verstand nicht erklären lässt. Ich erfahre, Stück für Stück, dass im Koran und der Sunna eine Weisheit steckt, die ich nicht leichtfertig abtun mag. Immer weniger bin ich zu Kompromissen bereit. Aber ich werde alles dafür tun was ich kann, dass Ihr, liebe Leser, es weiterhin ganz anders machen könnt als ich - denn ohne Freiheit, ohne Achtung, ohne Liberalität können wir alle nur verlieren.

8 Kommentare:

  1. Wow, erst mal vorab.. super geschrieben! Echt Hut ab.

    Für mich heisst Liberal frei sein in dem Thema auf das ich dass liberal sein beziehe. Als liberal denkende Muslima, bin ich der Meinung das ich frei Entscheiden kann in wiefern ich den Islam auslebe und ich keinem anderen darin vorschriften mache, wie er den Islam zu verstehen und zu leben hat. Natürlich habe ich meine eigene Meinung über verschiedene Themen im Islam, die andere evtl nicht vertreten oder anders verstehen, aber ich würde niemandem versuchen meine Meinung überzustülpen oder zu sagen dass derjenige im Unrecht ist. Ich sage demjenigen so wie es verstehe aber akzeptiere wenn er es anders handhabt, bzw lass ihm daher die Freiheit es anders handzuhaben. Die Grenzen im Freiheiten lassen ist dann wenn ein anderer zu schaden kommt. Zum Beispiel, wenn ein Mann meint dass es rechtens ist seine Frau zu vermöbeln, zu vergewaltigen oder ähnliches. Ist jetz nur ein beispiel... das ist dann nicht nur seine eigene interpretation, die nur ihn selbst betrifft, sondern diese interpretation schadet jemand anderem. da würde bei mir die "Meinungsfreiheit oder Interpretationsfreiheit" aufhören.

    hoffe ich habe meinen Standpunkt zum thema liberal auf den Islam bezogen verständlich machen können;-))

    Grüße Naima

    AntwortenLöschen
  2. selam,

    ich finde ehrlich gesagt, dass man immer wieder im fortschritt sein wollte und die zeit beachten sollte, in der man lebt. ich meine, was nützt es mir ritule zu befolgen die heute nicht mehr gelten? aber trotzmde darf man nicht seinen ursprung vergssen und wo der sinn im allem steckt.

    echt gute geschrieben

    AntwortenLöschen
  3. Mystiker haben keine Strukturen und leben falsch? Na, vielen Dank auch, dann weiß ich jetzt wenigstens, wo ich stehe.
    Dilara

    AntwortenLöschen
  4. Hab ich das gesagt? Wäre mir neu.

    AntwortenLöschen
  5. Anisah, Du hast das oben geschrieben:
    Und dabei betrachte ich übermäßiges Beharren auf Strukturen genauso wie übermäßiges Verleugnen dieser Strukturen. Ich sehe übermäßige Konzentration auf die islamische Mystik als genauso falsch an wie diese zu leugnen

    AntwortenLöschen
  6. Ja, liebes, aber da sind wir doch der selben Meinung, oder etwa nicht? Übermäßiges in jede Richtung ist eben das, was unislamisch ist. Aber ich entscheide doch, bitteschön, nicht, was für jemand anderen übermäßig ist. Wie käme ich auch dazu?

    AntwortenLöschen
  7. Anisah - ich bin Sufi (inshAllah). Was meinst Du, auf was ich mich stütze? Natürlich auf den Koran, aber auch sehr viel auf Mystik.
    Und liberal bin ich auch und nein, wir sind da nicht der selben Meinung.

    AntwortenLöschen
  8. Du gehst Deinen Weg, ich meinen. Das Ziel ist, insha Allah, das selbe.

    AntwortenLöschen